Blattläuse und Zikaden als Virusüberträger im Getreide

Das Wort „Virus“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „das Gift“. Daher findet man in Fachpublikationen oft die Bezeichnung „das Virus“. Heute wissen wir, daß Viren keine Gifte sind, sondern unbelebte Krankheitserreger, die in der Regel aus Erbinformation bestehen, die in einer Eiweißhülle verpackt ist. Gerstengelbverzwergungsviren (Barley yellow dwarf virus = BYDV) haben etwa einen Durchmesser von 30 Nanometern und enthalten ca. 25% Erbsubstanz und 75% Eiweiß. Die Erbinformation eines Virus wird bei erfolgreicher Infektion in die Erbinformation der Wirtszelle eingebaut und verhindert so das fehlerfreie Ablesen der Erbinformation der Wirtszelle. Blattläuse spielen eine wichtige Rolle als Überträger (Vektor) von Viruserkrankungen im Getreide. In den letzten Jahren wird von unseren europäischen Nachbarn eine Zunahme der Gerstengelbverzwergungsviren (BYDV) und des Weizenverzwergungsvirus (WDV) gemeldet. Beide Viruserkrankungen sind optisch nicht zu unterscheiden, da sich die Symptome stark ähneln. Erst eine molekulare Analyse im Labor kann das jeweilige Virus (oder eine Mischinfektionen aus mehreren Viren) nachweisen. Im folgenden sollen diese Erkrankungen vorgestellt und Hinweise zur Vermeidung gegeben werden.

 Gerstengelbverzwergungsviren

Es handelt sich um einen Komplex von mehreren verschiedenen, nahe verwandten Viren, bzw. Virusstämmen. Diese Viren werden ausschließlich über Blattläuse übertragen. Als Hauptüberträger gelten vor allem die Haferblattlaus (Rhopalosiphum padi), die Große Getreideblattlaus (Sitobion avenae) und die Bleiche Getreideblattlaus (Metopolophium avenae), dazu können noch bis zu 20 weitere Arten die Viren übertragen. Unterschiedliche Läuse-Arten übertragen auch unterschiedliche Virus-Stämme des BYDV. Neben der Gerste wird auch Hafer, Weizen, Roggen, Mais sowie Wildgräser der Gattung Poaceae durch BYDV befallen. Auch in Mais und Weidelgras finden sich die Viren, ohne jedoch deutliche Symptome hervorzurufen. Alle Viren verursachen im Getreide eine Verzwergung bzw. Kümmerwuchs oder eine Behinderung von Sproß- und Wurzelwachstum. Teilweise unterbleibt das Schossen. Hinzu kommt bei der Gerste eine gelbe Verfärbung, bei Weizen und Hafer hingegen eine gelbliche bis rötliche Färbung (Haferröte), die erst an der Blattspitze beginnt und sich dann über das Blatt ausbreitet. Dies wird durch eine Anhäufung von Kohlenhydraten hervorgerufen, die das Phloem verstopfen und somit den Transport der Assimilate verhindern. Die Winterhärte infizierter Pflanzen kann reduziert sein. Eine rein visuelle Diagnose ist schwierig, weil andere biotische und abiotische Streßfaktoren (Stickstoffmangel, Frostschäden, Trockenheit) ähnliche Symptome verursachen können.

Die Erstinfektion findet im Herbst statt. Den Sommer haben die Läuse in Mais, Grünland, Ausfallgetreide oder Randbewuchs überdauert, nachdem sie bereits im Sommergetreide oder auch im Mais Viren aufgenommen haben. Bei Temperaturen zwischen 10-15°C findet die Zuwanderung der Läuse in Getreidefelder und damit auch eine mögliche Erstinfektion der Jungpflanzenbestände statt. Die Viren werden persistent-zirkulativ übertragen, was hier kurz erläutert werden soll. BYDV liegt tief im Pflanzengewebe vor (hier in den Leitbündeln, deswegen ist auch die mechanische Übertragung nicht möglich). Um das Virus aufzunehmen, muß die Laus die Pflanze anstechen, den Saugrüssel tief in das Phloem schieben und mehrere Stunden saugen. Nach der Aufnahme ist das Virus aber nicht sofort weiterübertragbar, sondern besitzt eine sogenannte Latenzzeit von mehreren Stunden. In dieser Zeit gelangt das Virus vom Verdauungstrakt der Laus über die Darmwand in die Speicheldrüse. Dies bezeichnet man als zirkulativ. Danach kann die Laus das Virus bei einem erneuten Anstich einer Pflanze über den Speichel weitergeben. BYDV ist bis zu 80 Tage durch die Laus übertragbar. Dies bezeichnet man als persistent.

Die Symptome einer Infektion zeigen sich meist erst im folgenden Frühjahr zunächst nesterweise, bei starkem Befall oder in einem vorangegangenen warmen Herbst hingegen schnell flächendeckend. Frühsaaten werden zuerst befallen und zeigen daher auch schnell erste Symptome der Vergilbung. Verwechselungsmöglichkeiten gibt es z.B. mit den Symptomen durch Bodenverdichtung und resultierenden Nährstoffmangel (verzögerte Nährstoffaufnahme). Während bei Nährstoffmangel die gelben Blätter schlaff sind und teilweise auf dem Boden liegen, stehen durch Viren vergilbte Blätter aufrecht. Bei einem milden Winter (wie z.B. in 2006/07) überleben die Läuse nicht als Winter-Ei, sondern als lebendgebärende Erwachsene auf den Sommerwirten, was die Infektionsgefahr für das Folgejahr deutlich erhöht, da die Läuse dann sofort mit der Produktion von Nachwuchs beginnen können. Die Viren können sich in den Läusen nicht vermehren und werden nicht an die Nachkommen weitergegeben.

Sollte hingegen aufgrund eines kalten Herbstes die Infektion erst im folgenden Frühjahr erfolgen, dann ist der Zwergwuchs meist weniger stark ausgeprägt. Infizierte Pflanzen bilden meist keine oder nur taube Ähren. Deswegen kann man den Ertragsverlust grob von der Befallshäufigkeit ableiten. Wenn also 10% der Pflanzen virusinfiziert sind, dann beträgt der Ertragsausfall auch etwa 10%. Grundsätzlich kann der Befall durch Läuse und die mit ihnen transportierte Viruslast nur schwer vorausgesagt werden, da eine Vielzahl von Faktoren (Wetter, Fruchtfolge, Kultur der Nachbarfelder, Feldhygiene und auch Düngung) eine Rolle spielen.

Die Verluste durch BYDV sind abhängig von der Gerstensorte, vom Infektionszeitpunkt und auch von dem jeweiligen Virusstamm. Erfolgt die Infektion vor dem Sprosswachstum, so können die Ertragsverluste bis zu 50% ausmachen (dann wird ein Umbruch empfohlen). Bei Infektionen nach dem Sproßwachstum betragen sie meist nur 10-15%. Die Verluste sind im Hafer zumeist höher als in der Gerste.

Für die Bekämpfung bedient man sich des Prinzips der Bekämpfungsschwelle, um unnötige Insektizidapplikationen gegen die Läuse zu vermeiden. Als Bekämpfungsrichtwert gilt: 10% befallene Pflanzen bei Frühsaaten (Auflaufen vor dem 25. September) und 25% bei Normalsaat (Auflaufen nach dem 25. September), wobei die Pflanzen im 2-3-Blattstadium sein sollten. Das setzt allerdings eine wiederholte Bestandskontrolle (alle 4 Tage) und eine genaue Bestimmung der jeweiligen Blattlausart voraus, da in erster Linie die Hauptüberträger (Haferblattlaus, Große Getreideblattlaus) erfaßt werden müssen. Die Verwendung von Insektizidbeizen auf der Basis von Neonikotinoiden ist zwar möglich, jedoch aufgrund der vermuteten Bienenschädlichkeit eher abzulehnen. Die Wirtschaftlichkeit einer Insektizid-Applikation im Herbst, z.B. mit Pyrethroiden, ist umstritten, da sie nicht immer mit einer Herbizidmaßnahme verbunden werden kann. Es fallen daher neben den reinen Mittelkosten (ca. 12 Euro/ha, abhängig vom verwendeten Mittel) auch zusätzliche Überfahrkosten (ca. 18 Euro/ha) an. Die Wirkungsdauer der Pyrethroide im Herbst beträgt etwa 5-7 Tage. Unnötige Insektizidmaßnahmen müssen unbedingt vermieden werden. Sicherheitsspritzungen sind nicht nur teuer, sondern auch ökologisch höchst bedenklich. Hilfe von Seiten der Offizialberatung sollte bei der Entscheidung über eine Insektizidmaßnahme in Anspruch genommen werden.

 Das Weizenverzwergungsvirus

Das Virus verursacht eine starke Wuchshemmung (Verzwergung) der Jungpflanzen. Außerdem zeigen sich streifige Aufhellungen, bzw. Vergilbungen der Pflanzen. Die Wurzeln sind nur schwach entwickelt. Befallene Pflanzen sind oftmals innerhalb einer Drillreihe zu finden. Das Virus wird durch eine Zwergzikade (Psammotettix alienus) übertragen. Die Zikade infiziert sich mit dem Virus durch Saugen am Xylem an befallenem Ausfallgetreide oder befallenen Wildgräsern, wie z.B. Trespe, Weidelgras oder Einjährige Rispe. Die Weitergabe des Virus kann aber erst nach einigen Tagen erfolgen, da der Erreger erst im Insektenkörper zirkuliert (sogenannte persistente Übertragung). Die Zikade wandert in die Weizenbestände ein und kann bereits nach kurzer Saugtätigkeit das Virus an die Pflanze abgeben. Erst bei Temperaturen unter 0°C wird die Aktivität der Zikade gestoppt. Es können sowohl erwachsene Zikaden als auch deren Larven das Virus übertragen. Damit ist eine Übertragung des Virus bis in den November hinein möglich. Die Zikade kann das Virus nicht nur auf Weizen, sondern auch auf andere Getreidearten (Gerste, Dinkel usw., allerdings nicht Mais) übertragen, ohne jedoch erheblich zu schädigen. Es kommt hinzu, daß die Zikade sehr mobil ist und daher einen Bestand schnell flächig infizieren kann. Viele Zikaden-Arten sehen sich recht ähnlich, eine genaue Bestimmung der Zwergzikade Psammotettix ist durch den Praktiker also schwierig. Außerdem springen Zikaden bei leichten Erschütterungen schon davon. Deswegen wird das Auftreten der Zikade eher geschätzt als gezählt. Einen konkreten Wert als Bekämpfungsrichtwert gibt es aber nicht. Eine chemische Bekämpfung der Zikade gilt als schwierig, weil systemische Insektizide kaum Wirkung zeigen. Auch der Bekämpfungserfolg durch Kontaktinsektizide (z.B. Pyrethroide) wird als mittelmäßig eingestuft.

 Was kann der Landwirt tun?

Virus- oder blattlausresistente Getreidesorten liegen derzeit noch nicht vor. Offenbar werden aber Getreidesorten mit sehr hell gefärbten Blättern von den Läuse bevorzugt angeflogen, weil sie diese vor einem dunklen Hintergrund (Boden) besser wahrnehmen können. Einige Sorten sind zusätzlich in der Lage, den physiologischen Streß einer Virusinfektion besser zu kompensieren, aber die Untersuchungen zu diesem Phänomen sind noch dürftig. Da eine direkte Bekämpfung der Viren nicht möglich ist, müssen in erster Linie pflanzenbauliche Maßnahmen und die Bekämpfung der Überträger im Vordergrund stehen. Zur Sicherung Ihres Getreidebestandes vor Virusbefall sollten Sie folgende Punkte beachten.

  •  Saatzeitpunkt spät wählen: Wintergerste und -roggen nicht vor dem 25. September und Winterweizen und Triticale nicht vor dem 20. Oktober (insbesondere bei windgeschützten Lagen).
  • Dünnsaaten vermeiden, da sie von den Läusen besser wahrgenommen werden.
  • Feldstoppel umgehend bearbeiten, Ausfallgetreide bekämpfen (Feldhygiene, keine grünen Brücken zulassen).
  • Am Feldrand Gräser abmähen.
  • Wintergerste möglichst nicht in Nachbarschaft zu spätreifen Maissorten.
  • Auf gefährdeten Flächen insektizide Saatgutbeizung entsprechend wählen.

 Michael Eickermann, Marco Beyer

Arbeitsgruppe Pflanzenschutz am CRP-Gabriel Lippmann